Als die SP-Delegierten im Februar 2023 die Nein-Parole zur OECD-Mindeststeuer fassten, wussten sie genau: Diese Abstimmung ist nicht zu gewinnen. Unmöglich! Und in der Tat, die Vorlage ist am 18. Juni 2023 sehr deutlich gutgeheissen worden. Trotzdem war das Nein richtig. Denn damit konnte die SP immerhin ihre Ausgangslage für die anstehende zweite Runde in Sachen OECD-Steuer deutlich verbessern. Wieso dies?

Von Walter Langenegger

Glaubwürdig geblieben

Richtig war die Nein-Parole erstens, weil die Partei damit glaubwürdig geblieben ist. Natürlich war klar, dass es überaus schwierig sein würde, zu erklären, dass sich das Nein nicht gegen die OECD-Steuer im Grundsatz, sondern dagegen richtet, dass hauptsächlich Tiefsteuerkantone und Konzerne von den Mehrerträgen profitieren, während die breite Bevölkerung einmal mehr leer ausgeht. Gleichwohl wäre es ein Fehler gewesen, wenn die SP aus taktischen Gründen und aus Furcht vor einer Niederlage darauf verzichtet hätte, den ungerechten Verteilschlüssel im Abstimmungskampf zu bekämpfen. Sie hätte damit riskiert, das Vertrauen zu verspielen, das sie sich in den letzten Jahren in ihrem erfolgreichen Kampf gegen das schädliche Steuerdumping bei vielen Menschen erarbeitet hat. 

Richtig war die Nein-Parole zweitens mit Blick auf die nun erforderliche Ausarbeitung eines Gesetzes zur OECD-Mindeststeuer. Damit beginnt der Kampf um eine faire Verteilung der Zusatzmilliarden nämlich von vorne. Dies allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Dank dessen, dass nun eine öffentliche Debatte stattgefunden hat, wissen viele Menschen besser darüber Bescheid, wie unsozial die Steuererträge verteilt werden. Nicht nur jene, die heute ein Nein einlegten, haben realisiert, dass hier Politik gegen die Bevölkerung gemacht wurde. Vielmehr dürften auch viele, die mit ihrem Ja die OECD-Mindeststeuer zunächst einmal ins Trockene bringen wollten, inzwischen Zweifel am beschlossenen Verteilschlüssel haben. 

Diese Zweifel werden zunehmen, zumal die negativen Folgen der nun geltenden Regelung schon sehr bald spürbar sein werden. Denn während Tiefsteuerkantone und Konzerne in den nächsten Jahren mehr denn je in Geld schwimmen werden, wird die breite Bevölkerung mit milliardenschweren Sparprogrammen insbesondere im Sozialbereich und in der Altersvorsorge konfrontiert sein. Spätestens an diesem Punkt könnte die jetzige, satte Mehrheit rasch schwinden.

Keine Niederlage

Vor diesem Hintergrund wird klar: Diese Niederlage ist keine Niederlage. Dies gilt umso mehr, als solche vermeintlichen Niederlagen zum Wesen und zur Geschichte der Schweizer Sozialdemokratie gehören. Als Minderheits- und Oppositionspartei im bürgerlichen Staat gibt es für sie gar keinen anderen Weg, als immer wieder gegen eine übermächtige Gegnerschaft anzutreten, um im Interesse der tieferen und mittleren Einkommen soziale Verbesserungen anzustossen.

Und so verhält es sich auch im Falle der OECD-Steuer: Nur weil die SP bereit war, den einsamen und aussichtslosen Kampf zu führen, wurde sie auch in die Lage versetzt, steuerpolitische Aufklärungsarbeit zu leisten und nun mit besseren Karten in die zweite Runde zu starten. Das ist das Maximum, was sie herausholen konnte. Kurzum: Ziel erreicht. Fortsetzung folgt!

Dieser Text ist am 18. Juni 2023 zuerst auf dem Blog von Walter Langenegger erschienen.