36 Wochen Elternzeit sind im europäischen Vergleich moderat!

Interview von Lena Schenkel, veröffentlicht in der NZZ vom 12. März 2019

Die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti koordiniert die geplante kantonale Volksinitiative für eine neunmonatige Elternzeit. Sie findet, dass Zürich nicht länger auf den Bund warten solle und dass sich der reiche Kanton ein bezahltes Obligatorium leisten kann.

Frau Marti, gehört eine Elternzeit nicht auf Bundesebene verhandelt?

Grundsätzlich schon, aber solange es dort nicht oder nur sehr langsam vorwärtsgeht, müssen progressive Kantone vorangehen. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass es möglich und notwendig ist, etwas kantonal zu regeln, wenn es der Bund noch nicht getan hat: Stichwort Frauenstimmrecht oder Lohninitiativen. Manchmal sind Veränderungen auf lokaler oder regionaler Ebene einfacher; das ist eine Chance des föderalistischen Systems.

Warum Zürich?

Weil die Elternzeit hier ein Bedürfnis ist, das hat unser Voting klar gezeigt. Vielleicht ist sie in Uri noch keines, in städtischen Kantonen definitiv. Städte wie Zürich haben auch bezüglich ausserfamiliärer Betreuung oder Tagesschulmodellen massiv ausgebaut. In der Stadt Bern oder im Kanton Neuenburg beziehen Staatsangestellte bereits einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub.

Einen solchen fordert auch eine nationale Volksinitiative – wieso warten Sie den Entscheid dazu nicht ab?

Vaterschaftsurlaub oder Elternzeit sind wichtig für die Gleichstellung. Diese ist in der Schweiz noch lange nicht erreicht – trotz gesetzlichem Auftrag seit 1996. Wir wollen nicht länger vertröstet werden. Wir kommen aber nicht voran, solange die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht geklärt ist.

Mehrheitsfähig scheint auf Bundesebene ein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub.

Das ist ein Anfang, wobei so immer noch davon ausgegangen wird, dass Mütter die Hauptverantwortlichen sind. Es gibt heute eine klare Mutterschaftsstrafe: Ab der Geburt des ersten Kindes verdienen Frauen massiv weniger und haben weniger Aufstiegschancen. Um Mütter nicht zu benachteiligen, braucht es eine paritätische Elternzeit.