Rede von Ylfete Fanaj zum Frauen*streik, 14. Juni 2019
Veränderungen passieren nicht einfach so! Frauen werden nicht automatisch gleichgestellt. Nein, jede Veränderung braucht immer zuerst ein verändertes Bewusstsein. Ohne Bewusstsein geht es nicht. Und genau das ist ja die Schwierigkeit. Ohne Problembewusstsein hat echte Veränderung keine Chance. Das ist das eine.
Veränderung braucht noch etwas Zweites. Jemand alleine kann keine gesellschaftliche Veränderung bewirken. Wir müssen es gemeinsam tun! Und: Wir müssen dafür ein gemeinsames Problembewusstsein haben. Genau deshalb sind wir heute hier und demonstrieren miteinander. Im gemeinsamen Bewusstsein dafür, dass wir mit vereinten Kräften etwas erreichen können, und dass wir die ungerechte Situation der Frauen in unserer Gesellschaft nicht hinnehmen.
Liebe Mitstreiker_innen
Bei uns im Kanton Luzern frage ich mich, ob wir genug Problembewusstsein haben, wenn es um häusliche Gewalt an Frauen geht. Jedes Jahr gibt es bei uns um die 400 polizeiliche Interventionen wegen häuslicher Gewalt. Die Polizei rückt also 1-2 pro Tag aus. Auch heute. Das Verrückte ist: Im dreimal kleineren Kanton Zug sind es sogar noch mehr! Wie ist das möglich?! Warum gibt es im Kanton Zug und anderen Kantonen mehr Frauen, die sich gegen Gewalt in den eigenen vier Wänden wehren wie bei uns? Die Antwort ist einfach: der Kanton Zug und andere Kantone investieren mehr in der Gewaltprävention von häuslicher Gewalt und in Gewaltschutz. Darum die unterschiedlichen Zahlen.
Liebe Mitstreiker_Innen
Wenn man diese Kantone miteinander vergleicht, so ist klar: das Problembewusstsein für häusliche Gewalt ist beim Kanton, bei den Politikerinnen und Politikern schon vorhanden. Aber das reicht nicht. Auch die Prioritäten müssen auch so gesetzt werden! Und: Wenn eine Frau zu Hause von ihrem Mann geschlagen wird, dann muss sie das Problem erkennen und in die Hand nehmen. Das ist ein schwieriger Prozess, weil es letztlich für die Familie Konsequenzen hat. Dafür muss sie wissen, dass sie Rechte hat und es Unterstützungsangebote gibt. Und hier hat der Kanton seine Verantwortung. Er muss die Bevölkerung über diese Angebote sensibilisieren, diese Angebote bereitstellen und auch finanzieren!
Und was macht der Kanton Luzern? Er investiert nur gerade einmal 10 Prozent für die Prävention gegen häusliche Gewalt.
10 Stellenprozente sind 4 Stunden Präventionsarbeit pro Woche für einen Kanton mit über 400’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Reicht das?
Das war nicht immer so.
Die Männerregierung hat beim ersten Sparpaket den Rotstift beim Schutz von Frauen angesetzt und die Stelle auf diese 10% gekürzt. Der Kanton hat die Gewaltberatung gekürzt. Der Kanton hat knappe Ressourcen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft. Das alles steht in einem harten Kontrast dazu, dass die polizeilichen Interventionen steigen und die Opferberatungsstelle immer mehr Fällen verzeichnet. Luzern macht das Minimum vom Minimum beim Schutz vor häuslicher Gewalt! Die Sparübung bei der Prävention bezahlen letztlich die Frauen und Kinder.
Liebe Mitstreiker_innen
Wir stehen hier vor dem Parlaments- und Regierungsgebäude. Dahinter ist auch das Kantonsgericht. Das Kantonsgericht hat kürzlich zu häuslicher Gewalt in einem Urteil festgehalten „Gewalt gegen Frauen wird heute nicht länger als privates Problem angesehen. Es ist im öffentlichem Interesse, der Gewaltanwendung – auch häuslicher Gewalt – vorzubeugen. Die Gesellschaft und damit der Staat muss in der Bekämpfung der Gewalt Verantwortung übernehmen.“
Unser Ziel ist es, dass diese Aussage nicht nur in staatlichen Institutionen gesagt wird, sondern Wirklichkeit wird in den Häusern und Wohnungen, wo Frauen tatsächlich Gewalt erleiden.
Deshalb fordern wir den Kanton dazu auf, dass er seine Verantwortung übernimmt:
- Wir fordern, dass der Kanton nicht mehr länger wegschaut und alles kleinredet, sondern das gesellschaftliche Problembewusstsein stärkt und in Prävention von Gewalt und Beratung investiert.
- Wir fordern, dass der Gewaltschutz bei der Polizei und Staatsanwaltschaft gestärkt wird. Und dass Kinder vor Gewalt geschützt werden!
- Wir fordern, dass die Gewaltberatung aufgestockt wird.
- Wir fordern für Migrantinnen ein Aufenthaltsrecht, das unabhängig von Familienstand und Ehemann ist. Migrantinnen sollen nicht länger vor Gericht beweisen müssen, dass sie genug geschlagen wurden, damit sie in der Schweiz bleiben können!
- Und: eine Männerregierung kann das Bewusstsein für diese Themen unmöglich schaffen. Deshalb fordern wir: Frauen in der Regierung!
Wir fordern das nicht nur heute – sondern auch in Zukunft! Bis unsere Forderungen erfüllt werden und so Veränderung möglich wird!
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