Heldinnen: Vor, während und nach der Krise

Blogbeitrag von Barbara Keller, Geschäftsleitungsmitglied der SP Frauen* Schweiz. Foto: Gina Roder, aus „look at us – we are many!“

In der ganzen Schweiz standen Menschen auf ihrem Balkon und haben applaudiert. Auch ich habe so versucht, meine Dankbarkeit für jene auszudrücken, welche während der Coronakrise die Schweiz am Laufen halten. Wir merken nun plötzlich, dass unsere Gesellschaft ohne die klassischen «Frauen*berufe» schlichtweg nicht auskommt. Doch es sind genau diese Berufe, die miserabel entlöhnt werden. Dass die Reparatur des Autos, die Montage von Werkzeugen oder das Programmieren einer Webseite seinen Preis hat, ist gesellschaftlich akzeptiert. Hingegen sind die Leistungen von «typischen Frauen*berufen» wie in der Kinderbetreuung, im Gesundheitswesen oder im Detailhandel unterbezahlt. Ich hoffe, in der Krise ist nun allen klar geworden, dass diese Tätigkeiten einen riesigen Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ausmachen. Doch was machen wir nun? Klatschen ist gut und schön, aber es reicht nicht.

«Ich stehe auf, gehe zur Arbeit, komme am Abend um 7 Uhr nach Hause, koche mir etwas und falle dann ins Bett. Oft bin ich vom Arbeitstag so kaputt, dass es nicht für viel mehr reicht. Das ist nicht nur während der Coronakrise so, es ist immer so, aber jetzt schauen die Menschen wenigstens hin». Bis zum Umfallen zu arbeiten und trotzdem einen Lohn zu haben, der kaum zum Leben reicht? Traurige Realität der sogenannten «Heldinnen der Krise». Eine Pflegerin verdient zwischen 4’100 und 4’400 Franken – bei einer 42-Stunden-Woche. Ausserdem wird eine enorme Flexibilität verlangt. Die Schwankungen in der Arbeitszeit haben massiv zugenommen. Die Arbeitgeber schicken ihr Personal nach Hause, wenn die Betten nicht ausgelastet sind. Auch die Zeit, die Pflegende für eine betreute Person aufwenden können, wird immer stärker begrenzt. Dadurch wird die Arbeit intensiver, die Pflegequalität leidet, was zu mehr Stress führt. Auch im Detailhandel sind zwei Drittel der Beschäftigten Frauen*. Der Medianlohn der Frauen* liegt bei 4’656 Franken pro Monat. Rund 23’000 Vollzeitstellen sind von Löhnen unter 3’673 Franken betroffen. Reicht ein solcher Lohn, um eine Familie zu ernähren? Wohl eher nicht. Aber was macht das schon, es gibt ja noch den männlichen Familienernährer…

Woher kommen diese massiven Lohnunterschiede?
Die Gesellschaft unterscheidet zwischen sogenannten weiblichen und männlichen Fähigkeiten. Die traditionell «weiblichen» Tätigkeiten werden von der Gesellschaft als weniger wertvoll erachtet, weil sie als selbstverständlich sowie als weniger produktiv angesehen werden. Heisst konkret, die sogenannte Care-Arbeit – also Pflegen, Kinderbetreuung, Putzen, Kochen usw. – wird als viel weniger wertschaffend eingestuft als die Arbeit eines Hedgefonds-Mangers und wird daher viel schlechter bezahlt. Ich weiss ja nicht, wie das bei euch ist, aber ich finde in einer Krise Pflege nützlicher als Hedgefonds.

Zudem werden Frauen* und Männer* von klein auf unterschiedlich erzogen, was sich auch in ihrer Berufswahl niederschlägt. Jugendliche wählen ihren Beruf immer noch häufig mit Blick auf ihre künftige Rolle als Mutter oder Vater: Jungs sehen sich als Ernährer und suchen sich einen angesehenen und gut bezahlten Beruf, Mädchen wählen einen Beruf, der mit Babypausen und Teilzeitarbeit besser vereinbar scheint.

14. Juni 2020 – der Kampf geht weiter.

Am 14. Juni 2019 gingen über eine halbe Million Frauen* in der Schweiz auf die Strasse: Ein historischer Tag, der in die Geschichtsbücher eingehen wird. Frauen* forderten mehr Lohn, Zeit und Respekt. Die Frauen streikten nicht nur, um ein paar mehr rauen* ins Parlament oder in einen Verwaltungsrat zu bringen, sondern um gegen sämtliche Unterdrückungsformen vorzugehen. Sie streikten, um struktureller Ungleichheit ein Ende zu setzen. Struktureller Ungleichheit wie eben der Abwertung sogenannter «Frauen*berufe».

Wo stehen wir ein Jahr nach dem Streik und inmitten einer Krise? Der Kampf für Gleichstellung läuft schon seit Generationen und wird wohl auch noch lange weitergehen müssen. Deshalb haben wir nun definitiv genug von leeren Versprechungen, kleinen Kompromissen und faulen Ausreden. Wir Frauen* sind unentbehrlich – für die Wirtschaft, Betriebe, zu Hause und in der Politik – einfach überall. Und wir werden dafür sorgen, dass ihr das nicht vergesst.

Mit der Coronakrise sehen wir noch viel klarer, welche Arbeit wirklich wichtig ist – und welche nicht. Dem müssen wir Rechnung tragen. Behandeln wir also die Heldinnen der Krise, wie sie es verdient haben. Klatschen reicht nicht, es braucht faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und Respekt für diese unglaublich wichtige Arbeit: Vor, während und nach der Krise!