Verrückte Strommärkte – wer rettet unsere KMU?

Autor: Jon Pult, SP-Nationalrat (GR) und Vizepräsident SP Schweiz

Wir alle stellen diese Tage besorgt fest: Die Strompreise explodieren, obwohl momentan noch keine Knappheit herrscht. Und wir haben gelernt: Der Marktpreis für Strom hat mit den Produktionskosten rein gar nichts zu tun. Er hängt nur davon ab, wie viel die Kundschaft bereit ist, zu zahlen. Eigentlich verrückt für ein Gut, welches für Bevölkerung und Wirtschaft so überlebenswichtig ist. Noch absurder: Der Energieriese Axpo hat sich an der Strombörse verzockt und muss vom Bund gerettet werden – obwohl der Konzern der Nordostschweizer Kantone eigentlich von der Preisexplosion profitiert. Solch paradoxe Probleme brockt man sich halt ein, wenn man den Liberalisierungspropheten folgt…

Hauptgrund für diese Absurditäten ist das sogenannte Merit-Order-Prinzip. Es sorgt dafür, dass das teuerste Kraftwerk den Preis für alle Anbieter bestimmt. Momentan bestimmt also der von Putin künstlich in die Höhe getriebene Gaspreis unsere Stromrechnung in Europa. Energieintensive Unternehmen fürchten um ihre Existenz, und Haushalte leiden unter der Preisexplosion. Zugleich rechnen die Stromproduzenten mit riesigen Extra- oder eben Übergewinnen. Gerade diejenigen, die Strom mit günstiger Wasser-, Sonnen- oder Windenergie herstellen. Fachleute sprechen von Windfall-Profiten – also von Profiten, die durch den Zufall und nicht dank unternehmerischer Entscheide entstehen.

In der Schweiz könnten in den nächsten Jahren milliardenschwere Übergewinne bei Axpo, Alpiq, BKW, Repower und Co. anfallen. Auch wenn sie aktuell in börsenbedingten Liquiditätsengpässen stecken und zumindest im Falle von Axpo eine Staatskrücke brauchen. Den bleibenden Schaden haben aber Millionen Haushalte und Zehntausende KMU. Zudem besteht die Gefahr, dass überhohe Strompreise die klimapolitisch so dringliche Dekarbonisierung bremsen.

Diese, von Putins Aggression ausgelöste und von einem dysfunktionalen Markt getriebene Strompreiskrise muss darum politisch gestoppt werden. Auch Haushalte und KMU müssen gerettet werden! Im Interesse von uns allen – und aus Solidarität mit der Ukraine. Nichts wünscht sich der Diktator im Kreml sehnlicher als sozialen Unfrieden und politische Instabilität im Westen. Genau darum dreht er Europa den Gashahn zu.

Zum Glück schlafen Brüssel und die europäischen Hauptstädte nicht. Die EU-Kommission prüft Reformen, damit Energiekonzerne mit tiefen Produktionskosten nicht mehr schwindelerregende Strompreise verrechnen dürfen. Am 9. September 2022 treffen sich die Energieministerinnen und Energieminister, um entsprechende Ideen zu diskutieren. Sollte sich die EU nicht schnell genug bewegen, werden verschiedene EU-Staaten wie zum Beispiel Deutschland die Übergewinne der Energiekonzerne abschöpfen, um damit Haushalte und Unternehmen zu entlasten.

Auch in Bern werden ähnliche Ideen gewälzt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga rettet nicht nur die schlingernde Axpo. Parallel lanciert sie auch die Idee einer Übergewinn-Abschöpfung. Ob das im Gesamtbundesrat mehrheitsfähig ist? Eher nicht. Wahrscheinlicher ist, dass die Schweiz die EU-Beschlüsse nachvollziehen und wir auch in der Schweiz von diesen mitprofitieren werden. Rettet also die EU am Schluss auch unsere KMU? Gut möglich. Zu hoffen ist es allemal!